Sonntag, 19. Juni 2011

19. Juni - Ende der WWKIP-Woche...

Heute endet WorldWide Knit in Public Week.
So ganz unkommentiert möchte ich das nicht verstreichen lassen. Ich bin etwas unschlüssig, wie ich dieses Event bewerten soll.
Einerseits finde ich es etwas albern, weil der "Eventcharakter" meines Erachtens im Gegensatz zu der Selbstverständlichkeit steht, die Handarbeit (für mich) hat und auch haben sollte. Ich meine, ich feiere ja auch keinen weltweiten Heute-koche-ich-Kartoffeln-Tag, (den Tag des Butterbrotes halte ich für eine reine Marketingmaßnahme), oder einen Blumen-Gieß-Tag (der mir bzw. meinen Blumen sogar nützlich wäre. Öhem.)... Wenn man es so herausheben muss, dann ist das, was auch immer da gefeiert wird, eben offenbar nicht selbstverständlich, und deshalb wehren sich ja auch viele Mütter gegen kommerziell verordnete Muttertags-Rituale, oder Paare gegen Valentinstag etc.

Auf der anderen Seite weiß ich die Macht des Rituals total zu schätzen. Und wenn bspw. Familien Muttertag, Geburtstage, Weihnachten etc feiern, so entstehen dabei eben wertvolle und verbindende gemeinsame Erinnerungen, die das Jahr strukturieren und einen im Alltagstrott innehalten lassen um das, was man hat -und das ist in der Regel  sehr viel - einmal so richtig wertzuschätzen. Tolle Sache das, und wichtig!

Und das öffentliche Stricken ist eben, anders als früher (hier meine ich das achtzehnte/neunzehnte Jahrhundert, als Stricken kein "Hobby" sondern eine von vielen häuslichen Aufgaben war), keine Selbstverständlichkeit. Man kann das gut daran erkennen, in wievielen Blogs in letzter Zeit - wahrscheinlich ganz zufällig und unabhängig vom WWKIP - thematisiert wurde, ob und wie man
a) sein Hobby im privaten Umfeld "öffentlich" macht (z. B. hier)
b) wieviel Freude und auch Nutzen der direkte Austausch, z. B. im Stricktreffen, bietet (z. B. hier)

Ich selbst habe das Stricken ja größtenteils in Internet perfektioniert (aber vor Jahren face-to-face beigebracht bekommen), und kann daher nur bestätigen: manchmal ist der Austausch mit erfahreneren Stricker/innen einfach nicht zu ersetzen! Um das passende Tutorial zu googlen, muss man nämlich in der Regel wissen, wonach man suchen sollte... :-)

Tatsächlich ist es aber auch eine große Genugtuung zu sehen, dass man nicht alleine ist mit seinen Interessen. Ich habe ja auch "Bücherfreunde", mit denen ich meine literarische Welt durchspreche, oder Kinofreunde, die mein cineastisches Denken erweitern, oder (ehemalige) Kommiliton/inn/en, mit denen ich die Fortschritte, Rückschritte und Exkurse bspw. meiner Dissertation diskutieren kann... warum also nicht auch die unendliche Befriedigung eines Strick-Nerd-Talks genießen, oder die Anerkennung für FOs kassieren, von Leuten, die tatsächlich wissen, was sie dabei beurteilen? Denn ob ein Strickstück technisch komplex auszuführen war, der jogless-stripe gelungen ist, oder Wolle und Muster perfekt zusammenpassen, dass kann beispielsweise der Meinige, bei aller Liebe, ja gar nicht richtig beurteilen... Dazu braucht es eine/n weitere/n Stricker/in.
Ihr strickt ja selber auch. Ihr wisst sicherlich, was ich meine.
man kann es natürlich auch übertreiben....

Verschärft wird diese Situation durch ein gesellschaftliches Klima, dass dem Stricken seit Jahrzehnten ein wirklich merkwürdiges Image zukommen lässt. Wer strickt, so das Klischee, ist entweder alt (Großmütter), oder Öko (80er Jahre: Grüne stricken im Bundestag).
Ist doch merkwürdig: Jede/r in meinem Bekanntenkreis trägt (gekaufte) Strickwaren - aber nur selbstgestricktem hängt an, dass es
a) "voll öko" aussieht (was leider durch grässliche Selbstringel-Stinos so häufig bestätigt wird, die bevorzugt von einer bestimmten Klientel getragen wird. Zumindest während meiner modischen Selbstfindunsphase während des Studiums),
b) irgendwie "kratzig" ist (wofür die Technik Stricken ja nichts kann, sondern bloß das verwendete Material...) und
c) formlos-kastige, grobmaschige und schlecht sitzende, sowie häufig zu bunte Produkte dabei herauskommen. [siehe a)]

Hmm. Gerade Punkt c (und a)) sind ein wenig merkwürdig, denn schließlich spricht allerlei dafür, dass Maßanfertigungen (=Selbstgestricktes) deutlich besser sitzen als Gekauftes. Nicht das Was (selbstgestrickt), sondern das Wie (Musterwahl, Materialwahl) entscheidet über Passform und Farbe. Und ich kann wunderbar ökologische Wolle kaufen, die kein bisschen "Öko" aussieht -- und umgekehrt...
Und obwohl wir Strick-Blogger-innen das alles besser wissen als die uns umgebende Welt, und obwohl wir (dank Internet und Ravelry) wissen, dass wir nicht nur viele sind, sondern in der Regel auch jünger als das Klischee uns zugesteht, scheint es ein bisschen so zu sein, als müsse man sich schämen, zumindest aber rechtfertigen, dass man strickt. Noch dazu für sich selbst! Die Näh-Blogs scheinen diesen Komplex merkwürdigerweise nicht zu haben...

Insofern ist Öffentliches Stricken wichtig. Wenn wir sichtbar in die Welt hinausgehen, als Personen aller Farben, Formen, Altersgruppen und Farbgeschmäcker, und dort für alle Welt deutlich sichtbar stricken, als sei es das normalste auf der Welt, im Zug zur Arbeit mal schnell ein Paar Socken fertigzustellen, dann, so meint man jedenfalls, müßten sich diese merkwürdig inakkuraten Klischees doch irgendwann einmal auflösen? Oder etwa nicht?

Denn leider gibt es ja genügend Vorurteile, die sich durch ständiges Wiederholen (in der Boulevardpresse) halten, obwohl sie für jeden, der Augen und Ohren offenhält und etwas Common Sense hat leicht als totaler Blödsinn zu entlarven sind. "Frauen können nicht studieren, dafür fehlt ihnen der Sinn", war z. B. bis in die 1960er Jahre weit verbreitet... "Ausländer" (Italiener/Türken) sind faul und arbeitsscheu", ist ein weiteres Klischee, das ich mit der Beobachtung von Restaurants/Eisdielen/Dönderbuden/"Onkel-Achmed"-Gemüsetürkenläden nicht in Übereinstimmung bringen kann...

Daraus folgt wohl: wir brauchen mehr Strickpublikationen, die "unsere" Sicht der Dinge vertreten. Wo nicht alle drei Jahre Stricken als "Trend" ausgerufen wird (was immer da ist, kann kein Trend sein), wo moderne, gut sitzende Muster publiziert werden, und wo die wirklich talentierten Designer/innen, die es weltweit gibt, namentlich vorgestellt und der allgemeinen Bewunderung preisgegeben werden.
Mal sehen, wie sich das entwickelt.
Was denkt Ihr?
Zu "politisch"? :-)