Dienstag, 31. Juli 2012

Tomten

Ich sitze also neulich im Zug, eine lange Fahrt steht mir bevor. Einmal vom Norden bis ganz in den Süden - wie gut, dass ich stricken kann!
Kopfhörer und Hörbuch schirmen mich von der gutgelaunten Gruppe Justizvollzugsbeamtinnen auf Betriebsausflug ab, die nicht begreifen können, dass wir ihren Spaß nicht alle gleichermaßen teilen können oder wollen.
Ich greife nach Wolle und Nadeln und schlage 112 Maschen für einen Tomten an.
Nach sechs Reihen beginne ich, auf einem Stück kariertem Papier ein einfaches  Bordürenmuster zu skizzieren - ein bißchen Intarsie kann das kraus rechts ja nur auflockern und zugleich die Kanten stabilisieren, dachte ich mir. Das Muster geht nicht auf.
Nun ist ja bekannt, dass ich nicht zählen kann. Ein Verdächtiger ist also schnell ausgemacht - ich habe tatsächlich 10 Maschen zu viel aufgeschlagen. Kein Problem, der Weg ist noch weit.  Ich ribbele alles auf und fange von vorne an. So hat man länger was vom Hobby.
Eine halbe Stunde später bin ich wieder da, wo ich eben schon mal war - diesmal mit der korrekten Maschenanzahl, einem halbwegs funktionierenden Mustersatz, und immer noch dem spannenden Hörbuch auf den Ohren.
Da rüttelt jemand an meinem Arm. Eine der Betriebsausflüglerinnen hat mir dringend etwas zu sagen. Ich schalte hektisch das Hörbuch aus, nehme den Kopfhörer ab und erfahren:
"Seit  Hannover beobachte ich Sie! Sie kommen ja überhaupt nicht voran! Ich seh' das ganz genau, das Stück ist überhaupt nicht gewachsen!"
Vorgetragen mit einem Unterton leichter Empörung.
Ich war so verstört, ich wusste überhaupt nicht, wie ich reagieren sollte.
Ich meine, geht's noch?
1. wollte ich offensichtlich meine Ruhe (Kopfhörer etc)
2. was geht es diese wildfremde Frau an, ob und wie schnell ich stricke?
3. ich habe noch nie erlebt, dass jemand mir das Taschenbuch oder die Zeitung aus der Hand gerissen hätte mit dem Hinweis, ich hätte nun schon so lange nichts umgeblättert, ob und was ich überhaupt da lesen würde.

Warum passiert sowas immer mir?