Sonntag, 25. Oktober 2015

Konkrete Hilfe. Das Eindringen der Realität in die flauschige Bloggerwelt.

Die Strick-und Nähblogwelt ist eine heimelige, kuschelige, wohlig-wollig-weiche Welt. Ich bin sehr gerne hier.
Die "richtige" Welt da draußen wird gerade immer kälter. Das liegt leider nicht nur an der Jahreszeit. Auch die Nachrichten machen mir zunehmend Sorgen. Ein Jahr Pegida, und die Normalität fremdenfeindlicher Äußerungen. Das Anzweifeln von Grundrechten. Das Aufwiegen von Not mit anderer Not - gegeneinander ausgespielt. Die Sprache, die verschleiert, dass es um konkrete Menschen geht. Brennende Häuser. Der Zunahme von undemokratischen Versuchen, Politik nicht an der Wahlurne, sondern mit dem Messer (oder Galgen?) zu gestalten - im Namen der Demokratie.
Glücklicherweise gibt es auch viel Wärme in dieser Zeit. Es gibt zahllose freiwillige Helferinnen und Helfer, die Kleidung sortieren, bei Behördengängen helfen, bei der Erstversorgung unterstützen, Menschen bei sich zu Hause aufnehmen. Es sind diese Menschen, mit denen ich mich in meiner kleinen Filterblase umgebe, mit denen ich mich wohl fühle. Es sind diese Nachrichten, die ich lesen will - nicht die zweifelnden, dräuenden, warnenden.
Nein, ich mache mir keine Illusionen über die Herausforderungen, über die finanziellen, sozialen und gesellschaftlichen Kosten, die uns noch bevorstehen. Aber ich glaube an die Macht des positiven Denkens und an selbsterfüllende Prophezeiungen, und deshalb ist mir Frau Merkels "Wir schaffen das!" allemal lieber als das unheilvolle Gemunkel von "das Boot ist voll" - hatten wir nicht gerade noch Fachkräftemangel, Lehrlingsmangel, rückläufige Bevölkerungsentwicklung, wer soll mal unsere Renten zahlen? Nein, einfach wird es nicht. Aber tatsächlich kennen ich keine einzige Person, die wegen irgendeines Flüchtlings bisher einen konkreten Nachteil hatte. Im Gegenteil - bisher kann man die Katastrophe noch ganz gut ausblenden. In meiner Welt kommen Flüchtlinge bisher nicht vor.

Das wird sich nun ändern. Ab morgen werde ich drei jungen Frauen aus Eritrea Deutschunterricht geben. Eine von ihnen war auf der Flucht schwanger und hat vor ca. 2 Monaten hier in Deutschland ein kleines Mädchen geboren. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie das für sie war! Wie ich sie kennengelernt habe und wie es dazu kam, dass ich ihnen helfen kann, könnt Ihr drüben nachlesen - hier und hier habe ich es erzählt. Ich freue mich jedenfalls auf die Deutschstunden, und bin auch ein bisschen aufgeregt. Wahrscheinlich werde ich aber mehr (und ganz andere Dinge) lernen, als meine drei Schülerinnen. Schon heute weiß ich mehr über Eritrea als vor einer Woche... :-)

Aber. Dies ist ja, bei aller politischen Realität, ein Handarbeitsblog. Daher:
Zum Kennenlernen habe ich dem kleinen Babymädchen ersteinmal wollige Wärme für Füßchen und Köpfchen mitgebracht - die junge Mutter hatte ja faktisch nichts. (Inzwischen hat sie dank ihrer super Hebamme einen Kinderwagen, ein Tragetuch, und vielerlei gespendete Kleidung. Aber etwas Selbstgestricktes war noch nicht dabei.)
Die Saartje-Booties sind ja meine Klassiker und hier fliegen immer ein paar herum, falls irgendwo ein Baby kalte Füße kriegen könnte. (Note to self: jetzt nicht mehr - Schublade auffüllen!)
Und für warme Ohren im drohenden Winter ist diese Mütze sicherlich nützlich. Rot steht ja jedem Kind, und mit einem Knäuel Lana Grossa Bingo, das hier noch herumflog, ist die  "Little Heaume" nicht nur an einem Abend gestrickt, sondern auch super niedlich und zugleich sicherlich mollig warm. Mal sehen, ob ich demnächst noch ein Tragefoto nachliefern kann...

Damit Baby's Mutter, ihre Freundin und eine weitere junge Frau - meine drei Schülerinnen - morgen im Unterricht auch richtig mitarbeiten können, habe ich zudem drei Sätze Schreibzeug-Grundausstattung besorgt. Jede bekommt erst einmal einen College-Schreibblock, eine Packung Buntstifte, farbige Kugelschreiber, ein Lineal, einen Spitzer und Radiergummi.
Und damit sie das alles aufbewahren können, habe ich rasch drei einfache Federtaschen genäht - die Stoffe und sogar die Reißverschlüsse sind noch von der Kissenaktion übrig, und damit sie gleichwertig, aber doch unterschiedlich sind, habe ich bei allen drei Taschen die gleichen Materialien verwendet - einmal ist der weiße Stoff außen, zweimal Futter, und die letzte Tasche habe ich zur besseren Unterscheidung noch mit einem Rest Webband verziert.
Für die Taschen habe ich Stoffrechtecke im Format von ungefähr 25 x 13 cm zugeschnitten und nach dieser feinen Anleitung zusammengenäht.

Das ging bei der dritten Tasche schon deutlich schneller als bei der ersten, aber von der angekündigten Viertelstunde Nähdauer bin ich doch noch etwas entfernt. 25 Minuten, würde ich sagen, inklusive Tüddelei.
Morgen ist Übergabe, dann haben wir die erste Deutschstunde. Ich bin gespannt.