Dienstag, 21. Februar 2017

FO: Blauer Tomten.

Wenn es im Winter kalt wird, werden den Eltern sehr kleiner Kinder Schneeanzüge verkauft.
Einerseits ist das nachvollziehbar: Die Kinder sind von Kopf (Kapuze) bis Fuß (abknöpfbare Schuhe) warm eingepackt, es kann nichts hoch oder runter rutschen, niemand friert.
Allerdings kann sich auch niemand bewegen. Die ohnehin grobmotorischen Babies sind dank dicker "Daunen"-(naja. Polyester)Füllung fast bewegungsunfähig und sehen aus wie ein Seestern - wenn man sich gerade daran gewöhnt hat, einigermaßen gezielt nach Dingen zu greifen, ist das ganz schön frustrierend...
Hinzu kommt, dass das Anziehen keinem der Beteiligten Freude macht. Die Beine sind eng, die Ärmel sind enger, die Kapuze ist zu eng oder zu weit, und überhaupt - Handschuhe! am besten noch angenäht, diese Ärmel zum Umklappen. Junior mag das gar nicht...
Da es hier im Norden ohnehin selten schneit, und selbst wenn Schnee läge, dieses Baby jedenfalls noch nicht durch den Schnee krabbeln würde, ist auch der Vorteil "wasserfest" für uns nicht gegeben. Schlimmstenfalls wandelt er sich in den Nachteil "nicht atmungsaktiv".
Aber bevor ich nun beim einschlägigen Öko-Kindermodehändler einen Schurwalkwolloverall bestelle, sehe ich meine Chance...
Challenge accepted!
Was wird gebraucht?
Da die Beine in einem Lammfellfußsack stecken, müssen sie nicht verhüllt werden. Notfalls haben wir genug Decken.
-Eine Jacke.
Warm, weich, atmungsaktiv.
-Wolle.
 Auch für kältere Temperaturen als alleinige Außenjacke warm genug?
-ok. Dicke Alpakawolle - bis zu 8x wärmer als Schafwolle. Noch dazu besonders kuschelig.
Leicht an-und auszuziehen. 
-Natürlich der wunderbare Tomten von Elizabeth Zimmermann - extragroße Armlöcher, gut sitzende und das Gesicht gut umschließende Kapuze, zeitlos kraus-rechts, Reißverschluss...

Meine erste Version war aus dünnerem Garn entstanden und daher recht klein ausgefallen. Junior trägt diesen Tomten als nunmehr drittes Baby mit etwa 7-9 Monaten als normale Strickjacke im Haus, und wird bald herausgewachsen sein.

Dieses Mal wollte ich dem Rat der Originalanleitung folgen - wenn man die Größe für ein etwa 2jähriges Kind stricke, so Frau Zimmermann, könne man im ersten Winter die Ärmel und ggf. die Kapuzevorne zubinden (Handschuhe!). Im zweiten Winter passt dann alles und im dritten - beginnt man mit einem neuen Kind von vorne... Letzteres ist schwer zu planen, aber die nächsten beiden Winter wollte ich gerüstet sein.


Das Muster:
sollte bekannt sein. Wer für Kinder strickt, sollte mindestens einen Tomten gestrickt haben. Sage ich jetzt mal so. Dies ist mein dritter und sicherlich nicht letzter. 
ist wie gesagt modular, d.h. eine Grundzahl - hier die sieben - kommt in allen relevanten Arbeitsschritten vor. X x 7 Maschen Anschlagen, kraus rechts bis zum Armloch, dort X x 7 Maschen abketten, X x 7 Rippen Armausschnitt etc. pp.
Technik:
Anfängertauglich! Kraus-rechts ist einfachstes-nebenbei-stricken, sieht immer gut aus und ist dehnbar - wächst also auch mit. Es ist allerdings auch ein echter Wollschlucker.
Die Wolle:
Weil ich eine warme Winterjacke wollte, habe ich mir zwei Konen Babyalpakawolle DK in dunkelblau-heather von Fairalpaka bestellt und diese doppelfädig verstrickt. Das ergibt in der Stärke ein "bulky" und mit Nadel 4,5mm erziele ich genau die von Frau Z. vorgeschlagene Maschenprobe (und damit hoffentlich auch die von ihr vorgeschlagene Reinwachs-Größe). Das Garn ist ein Traum - warm und weich und flauschig und das Blau leuchtet und steht Junior wahnsinnig gut. Die Maschenprobe trägt er ja in Form einer Mütze schon länger... Und die 500g Konen führen dazu, dass man endlich einmal in Ruhe ohne Knoten vor sich hin stricken kann. Herrlich!
Änderungen:
Dieses Mal habe ich die Saum-und Ärmelkanten im 2r2l-Rippenmuster gestrickt. I-Cord ist zwar todschick, aber nicht ganz so elastisch, und enge Kanten sind unpraktisch. Außerdem wird es so etwas... frischer? Moderner? Finde ich... 
Außerdem habe ich die Kapuze wieder etwas größer gestrickt (2 zusätzliche Zunahmereihen) und mit einem Kontrastgarn (fairalpaka weinrot-heather fingering - aber vierfädig = bulky) zusammengenäht und mit einer roten Quaste versehen.
Und entlang der vorderen Kante bis hoch zur Kapuze habe ich einen xoxo-Zopf eingestrickt. Der heißt auch "hugs und kisses", weil im (angelsächsisch-amerikanischen) Internet "x" für Kuss und "()" für Umarmung steht. Das perfekte Muster für mein Baby also, und außerdem ein bisschen Abwechslung in dem ganzen kraus-rechts. Zwar zeigt sich schnell und deutlich, dassAlpaka kein ideales Garn für Zopfmuster ist,  trotzdem, mir gefiel es so gut, dass ich den Zopf in einer schmaleren 4Maschenversion auch auf der Ärmelmitte angebracht habe. Die Ärmel-Abnahmen habe ich seitlich dieses Zopfes gemacht.
Außerdem wollte ich dieses Mal Taschen - im Moment kann Junior damit zwar noch nichts anfangen, aber ich nehme an, dass nächstes Jahr allerlei kleine Schätze herumgetragen werden müssen. 
Auch diese Taschen habe ich im weinroten Kontrastgarn gestrickt, allerdings nur doppelfädig (=DK), sodass die Taschenbeutel nicht zu sehr auftragen. Eingestrickt habe ich sie nach dem Prinzip der "Afterthought Pockets", das EZ ebenfalls in Knitting without Tears vorstellt.

Dazu wird ein Faden zerschnitten, vorsichtig gelöst und die gewünschte Zahl nun freier Maschen auf Nadeln gelegt. Die Tasche wird dann in Runden in der gewünschten Tiefe gestrickt. Ich habe die "Seitennaht"-Maschen links gestrickt, damit sich die Tasche flacher legt, und sie mit 3-Needle-Bindoff abgekettet, und dann die komplette Abkettkante an die Jacke genäht - so kann die Tasche nicht ausbeulen und durchhängen. Erst wollte ich noch eine Taschenblende anbringen, aber mir gefällt es ganz gut, wie das Futter "blitzt"- ich lasse es erstmal so. Am schwierigsten war es, die Tasche richtig zu platzieren - ich habe mich dafür entschieden, sie etwas tiefer als halbe Strecke zwischen Saum und Ärmelloch anzubringen (nach 18 Rippen). Sie ist 12 Maschen vom Reißverschluss entfernt und 14 Maschen breit - allerdings musste ich aufgrund des dünneren Taschenbeutelgarns in den ersten Runden aufs 2x29 Maschen (je 1 Falz-Masche) zunehmen, um den Unterschied in der Maschenprobe auszugleichen. Und wenn die Tasche innen etwas größer ist als von außen sichtbar, schadet das schließlich nichts.

Das schwierigste aber war das Einnähen des Reißverschlusses. Ich hatte bei Schneiderbedarf Werner einen 50 cm langen, teilbaren Zwei-Wege-Reißverschluss gekauft*, damit ich die Jacke von unten öffnen kann- wenn Junior im Wagen sitzt, kann er so leichter angeschnallt werden, und man kann bspw. im Supermarkt etwas "lüften" ohne die Jacke ausziehen zu müssen...
Um es kurz zu fassen: nach mehreren Fehlversuchen habe ich jede 10. Rippe mit einer Nadel markiert und dann den Reißverschluss mit Reihgarn so geheftet, dass 10 Rippen 6,5 cm entsprach. 

Dann mit der tollen neuen Nähmaschine und dem noch tolleren Reißverschlussfuß ganz knappkantig angenäht. Das hat endlich wunderbar funktioniert, ohne dass Jacke oder RV später Wellen schlugen. Allerdings hatte ich mich verrechnet- 10 Reihen hätten 7cm entsprechen müssen... So war mein Reißverschluss auf einmal ganze 5 cm länger - zu lang?
Der Vorteil ist, dass ich auf diese Weise das Kind gut verhüllen kann - die zur Zeit noch etwas große Kapuze schließt gut ab und ersetzt eine Mütze, und zukünftig muss man ja nicht bis oben hin zuziehen. 

Allerdings hat er dann eben immer Reißverschlusszacken im Gesicht, und auch wenn diese nicht aus spitzem, kalten Metall sind, sondern aus Kunststoff, so ist das wahrscheinlich nicht so bequem. Eine gutaussehende Lösung ist mir leider noch nicht eingefallen...
Auftrennen ist jedenfalls keine Option, denn ich habe bereits das Reißverschlussband innen mit einem Webband übernäht, um die Kanten aufzuhübschen und weiter zu stabilisieren - die Jacke wiegt etwa 600g und würde durch das Gewicht sehr ausleiern.
Außerdem - ist das nicht süß? Wale! Und die Farben passen perfekt!
Auf die ursprünglich geplante rote I-Cord-Einfassung entlang der vorderen Blende habe ich dann doch verzichtet - die kraus-rechte Kante sieht ordentlich aus, die Maschinennähte passen gut ins Muster, liegen genau neben dem Zopf und müssen nicht verdeckt werden...

...und die Kontrastfarbe sollte nur einen Akzent setzen, nicht zu dominant werden. Daher muss ich die etwas zu breit rot abgeketteten Ärmelbündchen wahrscheinlich noch einmal neu oder anders machen, aber zur Zeit ist die Jacke schon im Einsatz - und ich habe im Moment keine Lust...
Wie man sieht ist die Jacke tatsächlich im Moment noch etwas zu groß. Eher ein knielanger Kurzmantel. Das heißt aber nur, dass Junior im Wagen auch Po und Oberschenkel von der Jacke gewärmt bekommt. Mit langen Ärmeln gibt es warme Finger, aber sie lassen sich leicht hochgekrempeln und ermöglichen das Herumfingern mit dicken Babyfingern. Sehr wichtig.
Ich denke, ein zwei weitere Winter wird er die Jacke bestimmt noch tragen können. 
Misson erfüllt!


Anders als dieses Foto vermuten lässt, trägt er die Jacke übrigens sehr gerne und freut sich, wenn wir damit ankommen. Das Anziehen ist nun kein Kampf mehr, und ich finde ihn extra-niedlich - alle sind glücklich. :-D
Die harten Fakten:
 Tomten Jacket by Elizabeth Zimmermann 
Troddel: https://www.purlsoho.com/create/2013/07/18/tassel-tiny-attached-tassel/
angefangen: 2. Januar 2017
fertiggestellt: 13. Februar 2017
verbraucht: 596g in blau, 28g rot
Größe/Maße: "etwa 2 Jahre" - mit viel Weite zum Drüberziehen über normale Kleidung
 60 cm Unterbrustweite
30 cm Saum-Achsel 
49 cm Saum-Schulter
25 Ärmel (Saum-Achsel)
Nadeln: Chiaogoo 4,5mm für blau, 3mm für Taschen.
Maschenprobe: 18Mx34R in kraus-rechts
weiteres Material: Stopfnadel/dicke Sticknadel zum Vernähen, 50 cm langer 6mm breiter Zwei-Wege-Reißverschluss, etwa 1,5 m Webband.
Kosten: Garn anteilig etwa 50 EUR, RV 3,99 EUR, Webband... tja. 5 Euro? Zusammen etwa 68-69 Euro. Kein Schnäppchen, aber immer nicht teuerer als der einschlägige (und sehr geschätzte) Öko-Walkwollbabyshop...und etwas individueller. Und wahrscheinlich mit längerer Laufzeit.


*ich kriege nichts dafür, dass ich Namen oder Händler nenne. Aber ich habe dort gute Erfahrungen gemacht und will den Laden wiederfinden. Wenn er zwischenzeitlich nicht pleite geht, weil andere Kunden den Weg finden, ist auch das in meinem Interesse. Und ich fand großartig, dass ich den RV in zentimetergenauer Wunschlänge hätte bestellen können. Unschlagbar günstig war er ohnehin.