Dienstag, 4. Oktober 2011

Nadelspielerei? Vom Sinn und Nutzen der Knitting Sheaths

Habt Ihr schon einmal von einem "knitting sheath" gehört?
Ich bin seit letztem Jahr immer wieder darauf gestoßen.
http://www.pinnantiques.com/USERIMAGES/knit1%281%29.JPG

Bei diesen "Nadelköchern" handelt es sich - wenn ich das richtig verstanden habe - um ein Werkzeug, mit dem die professionellen Strickerinnen des 18. und 19. Jahrhunderts
  • gleichmäßig und schnell stricken
  • ihre Handgelenke entlasten
  • im Laufen stricken
  • einhändig stricken
konnten.
In Großbritannien sind die Museen offenbar voll mit "knitting sticks" (es gibt auch "knitting belts", die Konstruktion ist etwas anders, aber das Prinzip ist ähnlich), hier in Deutschland habe ich davon allerdings noch nie gehört - nicht, dass das was heißt. Ich habe auch nicht gesucht. Aber auch das deutschsprachige Internet schweigt.
Es sieht so aus, als würden nur noch wenige Stricker_innen diese Technik nutzen - auf den Orkneys, in Großbritannien, und ein einsamer Stricker in Kalifornien.(http://gansey.blogspot.com)

Aaron wollte wissen, wie sich die englische Fischerei und Seefahrt entwickeln konnte, mit wochenlangen Aufenthalten auf See, zu einer Zeit, als "Funktionskleidung" mit der handgesponnenen Schurwolle und einem Satz Stricknadeln gefertigt wurde... Moderne "Fischerpullover" halten jedenfalls weder Wasser ab noch wärmen sie genug, um als alleiniger Schutz einen Mann auf See am Leben zu halten. Daraus schloß er, dass erstens die Wolle für die damaligen Fischerpullover (er meint Ganseys) damals anders, womöglich fester versponnen wurde und aus mehr, aber dafür dünneren Fäden  zusammengesetzt war, und zweitens, dass die Nadeln dünner und die Maschen kleiner und fester waren - etwas was nur mit knitting sheaths zu bewerkstelligen war.
Also fing Aaron an, solche Köcher  herzustellen. Und die Nadeln auch. Inzwischen spinnt er auch die Wolle, die er braucht. Und er versucht, (wissenschaftlich) zu erklären, wie diese alte Technik funktioniert. Ich bin nicht sicher, ob ich das richtig verstanden haben, aber ich glaube, es ist ungefähr so:

Man strickt mit einem Nadelspiel - für Pullover mit ziemlich langen Nadeln, Socken und Handschuhe "normal" kurz. Aaron schwört auf Metallnadeln (Stahl bzw. Klavierdraht), da sie etwas elastisch sein müssen ohne gleich zu brechen (wie Holznadeln).
Die Nadel, mit der die Maschen abgestrickt werden (rechts) wird im Köcher verankert. Der Köcher ist fest am Gürtel/Schürzenband/Hosenbund verankert, je nach Nadellänge über der rechten Hüfte oder sogar noch weiter hinten.
Die Nadel gewinnt durch die Verankerung und die Führung um den Körper herum eine gewisse Spannung, die man sich nun zunutze machen kann. Man drückt die Nadel in die abzustrickende Masche der linken Nadel, und die Köchernadel federt wieder heraus. Der Köcher nimmt auch das Gewicht des Strickstücks auf. Insgesamt kommt die Bewegung weniger aus dem Handgelenk und mehr aus dem Oberarm-Muskel - der Finger kann sich auf eine feste Fadenspannung konzentrieren, weil er nicht mehr das gesamte Gewicht halten, Nadeln bewegen und Spannung erzeugen muss, und so werden auch die Handgelenke entlastet.
Hier hat Aaron einige Videos eingestellt, in denen er versucht, das Prinzip zu erklären:
http://gansey.blogspot.com/2008/03/video-of-gansey-needles-with-knitting.html


So weit leuchtet mir die Theorie ein. 
Das einhändige-Stricken und das im-Laufen-Stricken habe ich allerdings noch nicht ganz verstanden - vielleicht funktioniert das nur, wenn man den Faden in der rechten Hand hält (english style, throwing the yarn).
Ich würde das wahnsinnig gerne mal probieren, allerdings fehlt mir der Köcher. Auch wenn Aaron meint, man könne die wahnsinnig schnell selbst schnitzen, ein passendes Loch in einem Kochlöffelstiel würde reichen, so fehlt mir Holz und Werkzeug dafür. Bin halt ein Stadtmädchen...