Montag, 14. Februar 2011

Was Herrenmode mit Uniformen zu tun hat, oder Wie Borowski auf Frau Zimmermann traf...

 Auf der Suche nach einer Muster-Inspiration für "Borowski" hatte ich mich, wie berichtet, bei Ravelry umgetan und festgestellt, dass es einen traurigen Mangel an Anleitungen für "normale" Herrenpullover gibt. Möglicherweise liegt es am schon erwähnten Pulloverfluch, möglicherweise aber auch daran, dass (viele/die meisten) Männer gar keine Pullover (Mehrzahl, implizit: unterschiedliche Modelle) wollen, sondern einen Pullover, Singular, "normal halt" - in der Variation dunkelblau oder grau, entweder mit Rundhals- oder V-Ausschnitt. Und das ist halt nicht so wahnsinnig aufregend zu stricken... (Ausnahmen bestätigen die Regel, werden an dieser Stelle aber zugunsten einer durchgehenden Argumentation absichtlich und willkürlich ignoriert.)

(An dieser Stelle vielen Dank für den Hinweis auf "Durrow" - aber diesen Zopf kann ich dem Meinigen unmöglich zumuten. VIEL zu AUFFÄLLIG, so als hätte die Kleidung es nötig! Nein nein, Kleidung für den Meinigen muss die unangestrengte Klasse einer Uniform haben - genauso zeitlos, genauso situationsübergreifend, mühelos, immer-richtig.
Und nein, ich spreche hier natürlich nicht von einer Gala-Uniform mit Epauletten und Tressen, Goldfransen oder Orden etc...
Mit Uniform meine ich hier, durchaus im positiven Sinne, etwas wie einen klassischen Anzug, oder altmodische (englische) Sportkleidung (Tennis, Golf), oder einen Smoking. Ich meine damit, dass der angestrebte Look zum einen weniger durch modische Details als durch die Form der Kleidung entsteht. Vor allem besticht diese durch die Qualität der Materialien, sorfältige Verarbeitung, und guten Sitz - das ist dann mein Job bei diesem Unternehmen.
Ganz anders als Damenmode finde ich, dass klassische, gute Herrenmode fast immer nach diesen Prinzipien gestaltet ist.  Der "Durrow"-Zopf, so gut er mir persönlich gefällt, ist für den angestrebten Look nicht nur unnötig, sondern leider sogar kontraproduktiv. Was nicht heißt, dass ich ihn nicht irgendwann einmal zu verwenden gedenke--er kommt in meine Mustersammlung. )


Aber ich hatte ja eine Spur, und suche ja nun nach einem Modell mit Sattelschultern! Und auf einmal gibt es bei Ravelry Ergebnisse. Viele dieser Ergebnisse  basieren auf einem komplett nahtlos in der Runde gestrickten Entwurf von Elizabeth Zimmermann. Nach nunmehr einem Jahr Stricken in Kleinbloggersdorf und bei Ravelry überrascht mich das gar nicht mehr.

Bildquell
Elizabeth Zimmermann war -in ihren eigenen Worten - eine eigensinnige Strickerin. Sie ist auch so etwas wie eine lebende Legende in der amerikanischen strickenden Gesellschaft - Ravelry ist voll von Anspielungen auf "EZ"'s geniale, häufig ans banal-einfache grenzenden Techniken.
Wohlgemerkt, ich meine "banal" hier keineswegs abwertend - jede wirklich geniale Einsicht ist banal, wenn sie erst einmal ausgesprochen wurde. Die Methode zu entwickeln ist nicht ganz so einfach...

Spätestens seit Ravelry wissen auch wir in der europäisch-deutschen Szene, dass man Pullover komplett nahtlos stricken kann, oder was eine "i-cord" (Idiotenkordel) ist, und ich habe fest vor, in einem der nächsten toe-up-Sockenprojekte ihren angeblich besonders elastischen "sewn bind-off" (genähtes Abketteln) zu versuchen.* Für "Borowski" denke ich an eine Version des "Seamless Saddle Shoulder Pullover". Vielleicht kann ich den Meinigen aber doch zu einem kleinen, konstruktiv notwendigen Zopf  überreden? Unterm Arm, wo's keiner sieht? Für falsche Seitennähte? hmm?

*Ich stricke noch nicht lange genug um ihren Einfluss auf die deutschen Strickszene vor 2007 beurteilen zu können, aber da keines ihrer Bücher bisher ins Deutsche übersetzt wurde, gehe ich davon aus, dass sie für uns hier eine (relative) Neuentdeckung ist. Irre ich mich? Kanntet Ihr EZ schon seit Jahren?

Kurzentschlossen nutzte ich die Ausrede, um beim Online-Händler "Knitting without Tears" zu kaufen. Schon auf Seite eins begann ich zu lachen. Völlig klar, warum diese humorvolle, bodenständige, no-nonsense Designerin einen so großen Fanclub hat - jeztzt hat sie einen Fan mehr! Wer natürlich jetzt eine genaue Anleitung erwartet, liegt ganz falsch. Wäre dies ein Kochbuch, so ginge es nicht um Haute Cuisine, mit kupfernen Töpfen und drei Sorten Himbeeressig. Vielmehr ginge es darum, bodenständige, alltagstaugliche Mahlzeiten zuzubereiten, ohne das Gemüse zu zerkochen. Trüffel kann dann jeder selber drüber reiben - vorausgesetzt, man mag Trüffel...

"Die richtige Art zu stricken ist die Art, die Dir am besten liegt, und zu der Wolle und dem Muster und der Form, an der du gerade arbeitest, passt. Zeig mir irgendeinen "Fehler" und ich zeige Dir, dass Du nur das Muster verwechselt hast oder eine unpassende Technik benutzt. Es gibt Muster mit Fallmaschen und verschränkten Maschen. Es gibt Projekte, die so fest wie nur irgend möglich gestrickt sein sollten; es gibt andere Muster bei denen Du bis zur Lethargie entspannen muss, um die Maschen locker genug zu bekommen. Ich habe bisher noch kein Muster gefunden, bei dem man Maschen spleißt (split stitch); das ist der einzige wirkliche Fehler, den ich kenne."
The way to knit is the way that suits you, and the way that suits the wool and the pattern and the shape that you are currently working on. Show me any "mistake" and I will show you that it is only a misplaced pattern or an inappropriate technique. There are patterns that include dropped stitches and twisted stitches. There are projects which should be as tight as you can possibly knit; there are others where you have to relax to the point of lethargy in order to make them loose enough. I've not yet found a pattern which includes a split stitch; this is the only real mistake I know. 


Sie spricht zu mir!
Mit Frau Zimmemann an meiner Seite fühle ich mich nun viel, viel besser: Borowski wird immer noch mein erster, eigener, selbst entworfener Pullover, aber dank des genialen EPS (Elizabeth's Percentage System) wird es vielleicht etwas weniger die Methode "Versuch-macht-kluch"...
Vielleicht auch nicht. Meine Matheschwäche macht vor Prozenten nicht unbedingt halt.

Als nächstes brauche ich eine Maschenprobe. Und einen Stift, einen Block, und möglicherweise einen Taschenrechner... 
Keine Angst - ich halte Euch auf dem Laufenden.